Skip to main content Skip to main navigation

Publikation

Zertifizierung von KI-Systemen, Kompass für die Entwicklung und Anwendung vertrauenswürdiger KI-Systeme

Jessica Heesen; Jörn Müller-Quade; Stefan Wrobel; Jürgen Beyerer; Gunnar Brink; Wolfgang Faisst; Martin Hoffmann; Norbert Huchler; Elsa Andrea Kirchner; Tobias Matzner; Matthias Peissner; Christoph Peylo; Thomas Schauf; Sirko Straube; Oliver Suchy; Susann Wolfgram; Ute Schmid; Frauke Rostalski; Maximilian Poretschkin; Pascal Birnstill
11/2020.

Zusammenfassung

Regulierung von KI-Systemen im Allgemeinen und Zertifizierung von KI-Systemen im Besonderen können entscheidend dazu beitragen, KI-Systeme in die Anwendung zu bringen und ihr volles Nutzenpotenzial auszuschöpfen. Die Zertifizierungsverfahren sollten dabei bestimmte Standards von KI-Systemen garantieren, gleichzeitig aber Überregulierung vermeiden und Innovation ermöglichen. Das AG-übergreifende Whitepaper entstand unter Federführung der Arbeitsgruppen IT-Sicherheit, Privacy, Recht und Ethik sowie der Arbeitsgruppe Technologische Wegbereiter und Data Science der Plattform Lernende Systeme und knüpft an ein bereits veröffentlichtes Impulspapier zur Zertifizierung von KI-Systemen an (vgl. Heesen et al. 2020a). Die Expertinnen und Experten der Plattform Lernende Systeme sowie weitere Gastautoren adressieren im vorliegenden Papier offene Fragen, etwa dazu, wann KI-Systeme zertifiziert werden sollten, an welchen Kriterien sich diese Zertifizierung orientieren soll und wie eine effiziente Infrastruktur ausgestaltet sein sollte. Zunächst wird im Whitepaper ein Überblick über den aktuellen Diskussionsstand gegeben sowie unterschiedliche Möglichkeiten zur Sicherstellung der Qualität von Produkten und Prozessen vorgestellt (Kapitel 1). Im Anschluss daran wird eine Übersicht über mögliche nationale sowie internationale Anknüpfungspunkte für gelungene Zertifizierungsinitiativen von KI-Systemen gegeben (Kapitel 2): Dazu gehören unter anderem politische Initiativen wie das Weißbuch zu Künstlicher Intelligenz der Europäischen Kommission, Good Practice-Beispiele aus der KI-Forschung und -Anwendung sowie weitere Initiativen zu technischen Lösungen, Standardisierung und zur Prüfung und Auditierung von KI-Systemen. Darauf aufbauend wird die Frage diskutiert, wie eine gelungene Zertifizierung von KI-Systemen ausgestaltet sein sollte (Kapitel 3). Hierbei müssen Anwendungsfälle unterschieden werden, in denen eine Zertifizierung von KI-Systemen notwendig ist und solche, in denen es keine Standardisierung braucht (Kapitel 3.1). Die Notwendigkeit einer Zertifizierung von KI-Systemen kann hier aus dem Ausmaß der Kritikalität in einem bestimmten Anwendungskontext abgeleitet werden. Dieses ist abhängig von der Einschätzung der Gefährdung von Menschenleben und anderen Rechtsgütern und dem Umfang der Handlungsoptionen von Menschen in bestimmten Anwendungskontexten. Anhand des Ausmaßes der Kritikalität kann auf den möglichen Regulierungsbedarf geschlossen werden. In einem nächsten Schritt werden verschiedene Arten von Zertifizierung sowie unterschiedliche Kriterien vorgestellt, die überprüft werden sollten – etwa zu Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Sicherheit, Gerechtigkeit, Schutz der Privatheit und Persönlichkeit sowie zur Selbstbestimmtheit (Kapitel 3.2). Unterschiede – hinsichtlich Zielsetzung und Betrachtungsgegenstand – bestehen hierbei zwischen Produkt- und Prozesszertifizierung, weshalb manche Prüfkriterien besser im Rahmen einer Produktzertifizierung und andere besser innerhalb einer Prozesszertifizierung abgefragt bzw. umgesetzt werden können. Die anzulegenden Prüfkriterien lassen sich in Mindestkriterien, die immer erfüllt und abgeprüft werden müssen, sowie darüber hinausgehende freiwillige Kriterien unterteilen, die abgeprüft werden können und somit eine Art „Zertifizierung Plus“ ermöglichen. KI-Systeme weisen eine besondere Dynamik auf, insbesondere weiterlernende Systeme entwickeln sich im laufenden Betrieb weiter, dies muss bei der Wahl des Zeitpunkts und des Detailgrads der Zertifizierung berücksichtigt werden (Kapitel 3.3). Die Zertifizierung sollte durchgeführt werden, bevor das Produkt oder die Dienstleistung in Verkehr gebracht wird, bei weiterlernenden Systemen sollte die Zertifizierung regelmäßig wiederholt werden. Detailgrad und Prüftiefe bei der Zertifizierung sollten sich ebenfalls am Kritikalitätslevel eines KI-Systems in seinem Anwendungsgebiet orientieren – je höher die Kritikalität im Anwendungskontext eingeschätzt wird, desto umfangreicher sollten der Detailgrad und die Prüftiefe der Zertifizierung ausfallen. Zudem wird eine Übersicht über die für die Umsetzung der Zertifizierung von KI-Systemen notwendige organisatorische und technische Infrastruktur gegeben (Kapitel 3.4). Damit die Konformitätsbewertung von KI-Systemen gelingt, sind etwa technische Voraussetzungen mit Blick auf Prüfwerkzeuge, Software und Testumgebungen zu erfüllen. Organisatorische Strukturen und Prozesse in Unternehmen sollten künftig zudem zu einem wichtigen, komplementären Baustein einer Zertifizierung von KI-Systemen werden. Die Kooperation zwischen Zertifizierungsstellen und Forschungsinstituten ist vor allem wichtig, um einer dynamischen Verfasstheit der Prüfstellen Rechnung zu tragen, die auf KI-Innovationen adäquat reagieren kann. Basierend auf diesen Überlegungen skizzieren die Autorinnen und Autoren des Papiers konkrete Gestaltungsoptionen zur Etablierung einer gelungenen Zertifizierung von KISystemen, die verschiedene Akteursgruppen adressieren (Kapitel 4). Zuletzt wird ein Ausblick für die nächsten Schritte hin zu einem Zertifizierungsprozess von KI-Systemen gegeben: Zentral für die Beantwortung der Frage, in welchen Fällen eine Zertifizierung von KI-Systemen notwendig sein sollte, ist hierfür der kombinierte Ansatz aus empirischer Forschung zur Erarbeitung einer objektiven Basis auf der einen Seite und konzeptioneller und normativer Überlegungen auf der anderen Seite (Kapitel 5). Das Papier leistet damit einen Beitrag zur Diskussion, wie durch geeignete Zertifizierungsverfahren Nutzenpotenziale von KI-Systemen realisiert und potenzielle negative Effekte vermieden werden können.